Vorwort
Das nächste Ziel, auf das ich hinarbeite ist der SSS, der Sportseeschifferschein. In den letzten Monaten habe ich dort mit den Theorieprüfungen gekämpft. Aktuell habe ich bereits 3 von 4 Modulen bestanden. Zum SSS gehören aber nicht nur die Theoriemodule, sondern auch eine Praxisprüfung. Diese wird normalerweise am Ende eines Ausbildungstörns abgelegt.
Für SSS-Törns kommen eine Reihe von Revieren in Frage z.B. Mittelmeer, Ostsee oder auch die Nordsee. In Mittelmeer und Ostsee bin ich schon oft gesegelt, einige Male auch als Skipper. Was mir in meiner Liste noch komplett fehlte, war die Nordsee. Es sollte auch ein Törn sein, der mich an meine eigenen Grenzen bringt. Ich wollte mal schauen, wie weit ich gehen kann.
Bei der Segelschule Sailing Island bin ich auf einen 8 tätigen SSS Törn nach England mit Prüfung am vorletzten Tag gestoßen. Optional wurde ein 3 tätiges Hafenmanövertraining vor dem SSS Törn angeboten. Ziemlich cool, da Hafenmanöver nach wie vor meine größte Schwäche sind. Beide Törns gebucht und los gehts.
Anreise
Los ging es Ende April in Stavoren am Ijsselmeer. Von Leipzig aus eine sehr lange Bahnfahrt mit vielen Umstiegen. Günstigerweise hatte ich mir vorher noch eine schöne Erkältung eingefangen. Ideale Voraussetzungen also.
Ich war vorher noch nie in den Niederlanden und bin bis heute begeistert, wie unglaublich grün die Wiesen mit den vielen Wasserkanälen sind. Wetter mäßig gab es noch etwas Raum nach oben: Regen, dunkle Wolken und 13°C.
Hafenmanövertraining
In Stavoren
Mit Skipper waren wir 6 Personen auf der PIM, einer Bavaria 38. Da ich als einer derLetzten anreiste, musste ich in die Bugkabine. Mit meinen 1.93 m ist das auf einem Schiff dieser Größe eng und kurz. Mein Kojennachbar war auch relativ groß und beide versuchten die Füße vorne in der Spitze der Koje zu bekommen. Die Nächte waren deshalb geprägt von Grenzstreitigkeiten.
Freunde haben mich gefragt, ob mich das nicht stört mit Fremden so eine Kabine zu teilen. Für mich ist das auch keine schöne Situation. Die Liebe zum Segeln überwiegt an dieser Stelle den Komfortverlust. Ein paar Tage hält man das schon mal aus.
Zum Hafenmanöver Training hatten wir durchgängig Wind von 16 bis 24 kn. Für unseren Geschmack zum Üben schon ziemlich viel. In manchen Situationen musste mit fast der vollen Maschinenleistung eingedampft werden, um das Schiff wieder Richtung Luv zu bekommen. Bei 24 kn Seitenwind in die Box reinzufahren hat nicht nur Rudergänger, sondern die gesamte Crew sehr gefordert. Dieser Übungstag zeigte wieder, dass bereits kleine Fehler z.B. zu dicht an den Dalben vorbeigefahren, bei einer kräftigen Böe zu einer Falle werden können. Auch eine Drehung durch den Wind war in der engen Gasse mit Maschinenleistung alleine nicht mehr zu bewältigen. Zusätzlich musste mit einer Leine gearbeitet werden.
Ich würde bei solchen Bedingungen mit meiner Crew im Hafen bleiben. Aber schön es mal ausprobiert zu haben.
Auf nach Medemblik
Später ging es dann raus auf das Ijsselmeer mit dem Ziel Medemblik. Vielen Booten sind wir draußen nicht begegnet. Der Witz des Skippers: „Woran sieht man, dass am Ijsselmeer kein Wind ist? Die Fliegen und die Motorboote kommen raus.“
Für mich als Revierneuling war es interessant zu sehen, wie flach es überall ist. Durch den kräftigen Wind sind wir auch recht zügig am Ziel angekommen.13°C und dazu noch Windstärke 6 sind eine frostige Kombination.
Im Stadthafen haben wir einen netten Liegeplatz gefunden. So richtig konnte ich den Aufenthalt in Medemblik leider nicht genießen, da mich telefonisch die Nachricht aus der Heimat erreichte, dass meine Freundin sehr krank ist. Ich konnte aufgrund dieser Nachricht nur sehr schlecht schlafen und fror zusätzlich in meinem Schlafsack. Es war eine schlechte Idee meinen dünneren Schlafsack mitzunehmen. Der lässt sich gut einpacken, war aber total unterdimensioniert.
Zurück nach Stavoren
Der Gashebel machte uns Probleme da er sich nur mit viel Mühe bedienen ließ. Kein gutes Gefühl, wenn bei diesen Windbedingungen der Hebel klemmt und man den Rückwärtsgang nicht rein bekommt. Ein Ersatzteil war schon bestellt und wurde nach Stavoren geliefert. Wir mussten also nochmal zurück zum Ausgangshafen.
Die Bedingungen waren durch den böigen Wind wieder relativ ruppig. Mehrmals mussten wir unsere Segelfläche verkleinern, da das Schiff zu unruhig wurde.
Vor dem Hafen von Stavoren hatte sich durch den Wind eine schöne Welle in der Hafeneinfahrt. Ich hatte die Ehre unter Maschine dort durchzufahren. Hebel auf den Tisch damit genug Ruderwirkung da ist und durch. Dabei aufpassen, dass man ja nicht auf die Mole getrieben wird. Spannend!
Im Hafen konnten wir dann auch das Problem mit dem Gaszug vom Motor entschärfen. Für mich war das interessant so eine Steuersäule mal offen zu sehen.
Fahrt nach England
Ijsselmeer und Schleuse
Vor der Fahrt nach England hatte mein Kojennachbar aufgrund gesundheitlicher Probleme abgemustert. Das bedeutete, dass wir jetzt für die geplante Fahrt nach England nur noch 4 Leute + Skipper hatten. Wir einigten uns auf ein 2 Wachsystem mit Wechsel nach 4 h. Der Skipper war nicht Teil der regulären Wachen, sondern ständig in Standby.
Um nach England zu gelangen, mussten wir wieder übers Ijsselmeer. Also in die Richtung, in der wir schon einmal waren. Der Wind hatte etwas abgeflaut und bis auf einen kurzen heftigen Gewitterschauer verlief die Fahrt übers Ijsselmeer ohne besondere Vorkommnisse. Die Schleuse in die Nordsee war für mich da schon deutlich interessanter. Ich kannte bisher nur kleinere Sportbootschleusen an Flüssen. Aber dieses Bauwerk hat ganz andere Dimensionen. Als einziges Schiff in der Kammer wurden wir auf Nordsee Niveau angehoben. Das riesige Stahltor öffnete sich mit einem tiefen Knarzen. Mich erinnerte das etwas an das großen Tor von Mordor aus den Herr der Ringe Verfilmungen.
Nach der Schleuse kommt noch eine Drehbrücke. Diese Brücke wurde extra für uns geöffnet und damit der Verkehr auf der Autobahn kurz angehalten. Wieder eine kleine Premiere für mich.
Unsere erste Wache
Unser Wache war von 20 bis 24 Uhr. In dieser Zeit mussten wir uns durch das betonnte Fahrwasser hangeln. Dabei kam der Wind so ungünstig, dass wir ständig halsen mussten und im Zickzack gefahren sind. Bei den Halsen versuchten wir so wenig Lärm wie möglich zu machen. Unsere Kollegen schliefen ja unter Deck.
Ein Highlight war definitiv der große Leuchtturm. Jedes Mal, wenn wir von dessen Lichtkegel getroffen wurde, flammte unser Segel in der Dunkelheit auf. Der Kurs war nicht anspruchslos.
Die richtigen Tonnen in der Dunkelheit zu finden und dann noch einen einigermaßen segelbaren Kurs zu bestimmen forderte den Kopf. Die Erleichterung war groß, als wir endlich die freie Nordsee erreichten. Endlich so fahren wie wir möchten. Leider nur fast. Sowohl die Windparks als auch die zahlreichen Ölborplattformen müssen weiträumig umfahren werden. Besonders die Plattformen kann man aber auch bei Nacht nur sehr schwer übersehen. Sie sind taghell erleuchtet.
Kurze Erholungspause in der Koje
Um 24 Uhr war der Wachwechsel. Endlich in die Koje. Da mir so entsetzlich kalt war, bin ich mit komplettem Ölzeug in den Schlafsack gestiegen. Leider war mir trotzdem noch sehr kalt. Mein Bett schaukelte ordentlich hin und her. Es gelang mir irgendwie mich zu entspannen und etwas zu schlafen. Nach kurzer Zeit wurde ich aber durch ensetzliche Geräusche aus dem Schlaf gerissen. Wir segelten einen tiefen Raumwindkurs bei sehr leichtem Wind. In den Wellen fiel die Genua öfters zusammen und füllte sich anschließend wieder mit Luft. Der plötzliche Zug verursachte ein lautes Knallgeräusch an den Genuaschienen nicht weit von meinem Kopf. Es klang als werden die Beschläge aus dem Deck gerissen. Die Wache hat das Segeln dann aufgegeben und die eiserne Genua (den Motor) angeworfen. Wenigstens ein monotones Geräusch!
Der Wind dreht
Um 4 Uhr war schon wieder Wachwechsel. Ich hatte kaum geschlafen und war durchgefroren. Ideale Voraussetzungen also. Ein bisschen merkte ich den Seegang auch. Nicht so, dass ich gleich über die Reling spucken muss, aber unangenehm. Meiner Erfahrung nach bin ich dafür besonders anfällig, wenn ich kalt und übermüdet bin. Es war unglaublich hart den Schlafsack zu verlassen, um im noch kälteren Cockpit die Position zu beziehen.
Immerhin war wieder etwas Wind aufgekommen und wir die Segel wieder setzen. Im Verlaufe unserer Wache drehte der Wind allerdings auf eine für unser Ziel „England“ höchst ungünstige Richtung. Unter Segel war England damit nicht mehr zu erreichen. Noch viele Stunden unter Motor fahren wollten wir auch nicht. Also kehren wir auf halbem Wege um. Neues Ziel: Ijmuiden in der Nähe von Amsterdam.Dort sollte am vorletzten Tag auch unsere SSS Prüfung stattfinden.
Ich war auf der Rückfahrt keine große Hilfe an Bord. Erkältung, Sorgen um die Freundin in der Heimat, kaum Schlaf und die Kälte hatten mir stark zugesetzt. Etwas apathisch und in Gedanken verloren saß ich in meiner Ecke im Cockpit. Konkrete Anweisungen konnte ich aber noch gut ausführen und immerhin beim Anlegen in Ijmuiden noch etwas zur Hand gehen.
Die Entscheidung
Mittlerweile hatte ich aus Leipzig die Information bekommen, dass meine Freundin in sehr bedenklichem Zustand im Krankenhaus liegt. Ich habe an dieser Stelle entschieden, dass es Zeit ist den Törn abzubrechen und auf schnellstem Wege nach Hause zu fahren. Auf dieser Brücke wurde ich mehr gebraucht als auf dem Segelboot. Das Wetter und die Kälte haben mir diese Entscheidung vereinfacht. Wenn Zuhause alles okay gewesen wäre, hätte ich mich bis zum Ende des Törns durchgebissen. So machte das ganze Unternehmen keinen Spaß und auch keinen Sinn mehr für mich.
Die Crew waren traurig über meinen Abschied, konnten die Entscheidung aber gut verstehen. Schon wieder einer aus der Crew weg.
Auf dem Rückweg konnte ich in Amsterdam wenigstens noch eine Grachtenfahrt mit einem Touridampfer machen.
Fazit
Ich wollte einen Törn, der mich raus aus der Komfortzone an meine Grenzen bringt. Dieses selbstgesteckte Ziel wurde sogar übertroffen, wenn auch in anderer Art und Weise als gedacht. Die Rahmenbedingungen waren auf meiner Seite einfach nicht gegeben für diesen Törn.
Total unterschätzt hatte ich die Temperaturen. Sollte ich irgendwann einmal wieder in diesem Revier fahren bringe ich alle Pullover mit, die ich habe.
Für mich waren die Highlights bei diesem Törn: zwei neue Reviere kennenlernen, die riesige Schleuse, Windparks und Ölborplattformen. Auch bei den Hafenmanövern konnte ich viel mitnehmen. Ich freue mich darauf dieses Wissen anzuwenden, hoffentlich nicht bei 24 kn Seitenwind wie am Übungstag.
Die SSS-Praxisprüfung hätte ich gerne mitgemacht. Mein Gefühl war recht gut. Der Törnabbruch wirft mich an dieser Stelle leider ein Jahr zurück, da ich in diesen SSS Praxistörn meinen halben Jahresurlaub und über 1.000 € investiert hatte.
Aber sich ärgern hilft im Scheißwetter auch nur bedingt. Ich werde als nächstes erstmal im Herbst das Theoriemodul Navigation (mein Letztes) absolvieren. Und sobald sich der Zustand meiner Freundin stabilisiert hat einen neuen SSS-Praxistörn für nächstes Jahr buchen. Dabei bin ich mir schon ziemlich sicher, dass es nicht Nordsee oder Ostsee wird. Lieber etwas im Warmen!
Mit Sailing Island und Skipper Alex würde ich auf jeden Fall wieder fahren.
Comment
[…] bei ihr zu Besuch war, blieb wenig Zeit und Energie für Segeln und Bootsführerscheine. Auch meine SSS Praxisprüfung ist dieser Sondersituation zum Opfer […]